Sebastian Seutter und Dennis Zwetschke.

Smart Manufacturing verbreitet sich, viele Unternehmen digitalisieren ihre Fertigung. Bei der „Global Conference 2020“ auf der Online-Smart-Factory-Plattform NEXCON demonstrierten unter anderem Microsoft und Siemens, wie das im Ergebnis aussehen kann.

Während viele Veranstaltungen in diesem Jahr unfreiwillig ins Netz ausweichen mussten, hat sich der von STAUFEN.DIGITAL NEONEX auf der Onlineplattform NEXCON ausgerichtete virtuelle Smart-Manufacturing-Kongress seit Jahren etabliert und bot auch in der 2020er-Auflage ein hochkarätiges Programm. „Digitalisierung und intelligente Produktion bewirken eine höhere Wettbewerbsfähigkeit. Jedes Unternehmen sollte in diese Richtung aufbrechen“, sagte etwa Sebastian Seutter, Sr. Industry Executive bei Microsoft.

Doch was heißt Intelligenz? Aus der Sicht von Microsoft führt die intelligente Fabrik vier Dinge zusammen: erstens die Cloud als modernste Form der IT-Infrastruktur. Zweitens das Internet der Dinge (IoT), das Maschinen und Anlagen vernetzt. Drittens Edge Computing am „Rand“ des lokalen Netzwerks. Es erfüllt Aufgaben wie das Vorfiltern von Daten, bevor sie die Cloud via IoT erreichen. Viertens Maschinen, die intelligent und vernetzt sind. „In einem Bild ausgedrückt: Maschinenintelligenz wird menschlicher Intelligenz angenähert. Und was beim Menschen die Sinne leisten, erfüllt bei Maschinen die Sensorik. Dadurch können sie hören und sehen“, erläuterte Seutter. „Wir erhalten damit interessante Daten, mit denen wir Machine-Learning-Modelle trainieren können.“

Wartung mit Drohnen

Unternehmen verfolgen mit diesen Daten Ziele wie etwa eine höhere Effizienz bei der Wartung von Großanlagen. Seutter schilderte ein interessantes Projekt, an dem Microsoft beteiligt war. Der Betreiber einer großen Brücke über eine Meerenge wollte die üblicherweise von Menschen vorgenommene Sichtprüfung auf Algenbefall, Risse und Rost weniger aufwendig gestalten. „Und wie macht man das heute? Mit Drohnen natürlich“, sagte Seutter. Die neue Wartungsprozedur sieht nun so aus: Drohnen fliegen nacheinander alle Bauelemente der Brücke ab und fotografieren ihre Oberflächen. Sie sind mit dem Internet der Dinge vernetzt und schicken die Fotos zur Auswertung in die Cloud. Die Daten werden anschließend mit einer lernfähigen Software analysiert, die eine Liste mit allen Problemen zusammenstellt. Wartungstechniker beseitigen dann gezielt Risse und Roststellen. In diesem Beispiel „sehen“ die intelligenten Algorithmen Rost und Risse. Der Fachbegriff ist Computer Vision und es gibt zahlreiche weitere Anwendungsfälle dafür. Auch in der Produktion können Drohnen helfen: „Wir haben in Zusammenarbeit mit einem großen OEM der Automobilindustrie ein Drohnensystem entwickelt“, erklärte Seutter. „Es erkennt in den Werkshallen praktisch im Vorbeiflug verschiedene Objekte wie Behälter oder Euro-Paletten.“ Diese Software soll in naher Zukunft ein autonomes Transportsystem für den Shopfloor unterstützen.

Intelligenz in der Wertschöpfungskette

Ein wichtiger Aspekt dieser intelligenten Anwendungen: Sie ziehen sich quer durch die gesamte Wertschöpfungskette. Hersteller von intelligenten Maschinen müssen deshalb eng mit ihren Nutzern zusammenarbeiten. Der Anwender der Maschine – etwa ein OEM in der Automobilherstellung – liefert die Daten, die von der vernetzten Maschine bearbeitet werden. Deshalb muss der Hersteller überlegen, bei welchen Zulieferern er Sensoren und Elektronikbauteile bestellt und welche Fähigkeiten sie haben sollen. Seutter betonte: „Letztlich entsteht auf diese Weise ein Ende-zu-Ende-Engineering, bei dem niemand in der gesamten Supply Chain seine Geräte unabhängig von den anderen konstruieren kann.“

Visualisierung in Beinahe-Echtzeit

Ein Hilfsmittel für die intelligente Fabrik ist der digitale Zwilling (Digital Twin). Darunter wird das Softwareabbild eines Objekts aus der Wirklichkeit verstanden, das sämtliche Eigenschaften und Funktionen nachbildet. Der digitale Zwilling erhält vom Ursprungsobjekt alle Daten und zeigt in einer Visualisierung das aktuelle Geschehen in Beinahe-Echtzeit an.

Siemens nutzt in seinem Berliner Messgerätewerk die digitalen Zwillinge der beiden Werkshallen, um die Daten aus der Produktion auszuwerten. „Dort wird die aktuelle Fertigung abgebildet. Wir analysieren damit die Auswirkungen von Änderungen an den Prozessen“, beschrieb Dennis Zwetschke, Head of Production Engineering and Data Analytics bei Siemens, die Aufgabe des Digital Twin.

Hohe Qualität durch digitale Assistenten

Als weiteren Meilenstein der Smart Factory hat Siemens einen digitalen Assistenten entwickelt, der alle Mitarbeiter über verschiedene Kanäle informiert – etwa per Webchat, Amazon Echo und Telefon. Zugleich ist er in Microsoft Teams und Office 365 integriert und arbeitet als App auf Windows 10, der Datenbrille Microsoft Hololens und anderen Geräten. „Der Assistent unterstützt die Mitarbeiter in ihrem Joballtag“, sagte Zwetschke. So sucht er einen freien Meeting-Raum und bucht ihn über die Sprachschnittstelle. Ein zweites Beispiel: Der Assistent gibt Wartungstechnikern mit der Hololens Informationen und Unterstützung, sodass sie die Hände für ihre Arbeit frei haben.

Diese Beispiele zeigen, dass künstliche Intelligenz und Machine Learning in der Fabrik der Zukunft wichtige Hilfsmittel sind. „Viele Unternehmen haben angefangen, sich mit diesen Themen zu beschäftigen und die Voraussetzungen zu schaffen“, fasste Sebastian Seutter von Microsoft seine Erfahrungen zusammen. „Etwa drei Viertel unserer Kunden setzen sich mit IoT-Projekten auseinander, aber nur ein Fünftel mit Machine Learning.“

Anders als Siemens haben manche Unternehmen Probleme, ihre Pilotprojekte zu skalieren und auf die gesamte Produktion zu übertragen. Sebastian Seutter machte hier drei Schwierigkeiten aus: Zunächst mangelt es an Datenmodellen, die das ganze Unternehmen abbilden. Zweitens sind IT und OT (Operational Technology) nur mangelhaft verknüpft und drittens gibt es zu wenige Experten für IoT und KI.

Thomas Rohrbach, Managing Director von STAUFEN.DIGITAL NEONEX und NEXCON-Initiator, bestätigt diese Aussage. Vielerorts sei die Herangehensweise an KI noch von Insellösungen geprägt. Durch Vorträge wie den von Microsoft und Siemens auf der NEXCON möchte Rohrbach ein größeres Bewusstsein für eine breite Umsetzung der intelligenten Produktion schaffen. Hürden, die er selbst in der Unternehmensberatung immer wieder erlebt, sollen so beseitigt werden.

Den gesamten Microsoft/Siemens-Vortrag können Sie sich auf NEXCON mit einem Premium-Account on demand ansehen.

Dieser Artikel wurde im Rahmen des STAUFEN MAGAZINE am 11.09.20 veröffentlicht.