Zukunft der deutschen Industrie: Sieben Maxime
Ökonomische Faktoren wie steigende Energiekosten, instabile Lieferketten und eine veraltete Infrastruktur stellen die Zukunftsfähigkeit unserer Industrie auf die Probe. Soziale Faktoren wie alternde Belegschaften, damit verbundener Erfahrungsverlust und allgemeiner Fachkräftemangel erschweren eine zukunftsfähige, industrielle Wertschöpfung weiter. Dies sind Rahmenbedingungen, welche die Wettbewerbsfähigkeit produzierender Unternehmen in einem Markt, der durch ein verändertes Kundenverhalten mit wachsenden Ansprüchen an Individualisierung, Echtzeitinformationen und Nachhaltigkeit bei schnell wachsender ausländischer Konkurrenz geprägt ist, auf die Probe stellen.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen Industrieunternehmen (endlich) in ihre ganzheitliche Transformation starten. Diese Transformation beginnt, in dem die Unternehmensstrategie mit allen Wettbewerbsvorteilen für alle Unternehmensbereiche heruntergebrochen werden. Da die Wettbewerbsvorteile von deutschen Industrieunternehmen in der Vergangenheit vor allem aus Produktion und Logistik – also aus der Fähigkeit, die vom Kunden benötigten Mengen zum richtige Zeitpunkt zum richtigen Preis in einer Top-Qualität zu liefern, entstand, sind diese Bereiche besonders bedeutend. Vor diesem Hintergrund ergeben sich sieben Handlungsfelder:
1. Automatisierung
Die Automatisierungstechnik hat in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht und ist heute deutlich leistungsfähiger und kostengünstiger als noch vor einem Jahrzehnt. Folglich können Unternehmen heute deutlich mehr Prozesse im direkten und indirekten Bereich effizient automatisieren. So können körperlich eingeschränkte Mitarbeiter durch den Einsatz intelligenter, modularer Roboter entlastet, ungelernte Mitarbeiter durch Assistenzsysteme unterstützt oder Personalressourcen gänzlich für wertschöpfende Tätigkeiten freigesetzt werden. Dabei werden Kosten gesenkt und dem sich verschärfenden Fachkräftemangel entgegengewirkt.
2. Digitalisierung und Vernetzung
Durch Digitalisierung und Vernetzung sämtlicher direkten und indirekten industriellen Wertschöpfungsprozesse eröffnet sich für Führungskräfte erstmals die Möglichkeit, vollständige Echtzeit-Transparenz zu erlangen. Diese Transparenz ermöglicht Ad-Hoc Eingriffe bei Abweichungen und erlaubt fundiertere Entscheidungen im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungszyklus. Entscheidungen können nunmehr schneller messbare Ergebnisse erzielen, systemische und komplexe Zusammenhänge werden verdeutlicht und können im Tagesgeschäft genutzt werden.
3. Systemisches Verständnis
Viele Unternehmen haben bereits einzelne Automatisierungs- und Digitalisierungs-Use Cases erfolgreich als Leuchtturmlösungen implementiert. Doch der eigentliche Nutzen ist bisher oft unklar und Synergien bleiben ungenutzt, solange diese Implementierungen nicht als Teil einer „End-to End“ Wertschöpfungskette betrachtet werden. Um die volle Effizienz und Skalierbarkeit der Automatisierungs- und Digitalisierungslösungen zu erreichen, müssen vertikale Funktions-, Daten- und Prozesssilos aufgebrochen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes, der von erfahrenen Prozessmanagern geleitet wird, die über den funktionalen Tellerrand hinausblicken und ein End-to-End Prozess-Zielbild entwerfen können.
4. Data Analytics
Unternehmen, die eine zunehmend komplexe Produktion und Supply Chain erfolgreich managen wollen, müssen sich auf eine neue Kernkompetenz konzentrieren: Data-Analytics. Datengetriebene Erkenntnisse sind unerlässlich, um zukünftig schnelle und richtige Analysen durchzuführen, Wirkungszusammenhänge bereit- und Entscheidungen sicherzustellen. Viele der dafür notwendigen Daten sind bereits vorhanden oder leicht zu erfassen. Die Bandbreite der analytischen Methoden ist enorm. Alle reden von Künstlicher Intelligenz – für Antworten auf sehr viele Fragestellungen reichen aber bereits einfachere Analytics-Ansätze. In einem modernen Wertschöpfungssystem sind Datamanagement und Analytics eine grundlegende Voraussetzung für eine nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit.
5. Wissens- und Komplexitätsmanagement
Produzierende Unternehmen stehen vor einem dreifachen Generationenwechsel, der ihnen besondere Herausforderungen abverlangt: Zum einen gibt es eine neue Generation von Kunden, die schnellere Lieferzeiten und höhere Individualisierung fordert. Zum anderen gibt es eine neue Produktgeneration mit einem höheren Modularisierungsgrad, die es den Unternehmen ermöglicht, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Schließlich gibt es eine neue Generation von Mitarbeitern, die von der Erfahrung und dem Wissen der erfahreneren Mitarbeiter profitieren muss, um die Komplexität der neuen Produktgeneration zu meistern. Nur Unternehmen, die Wissens- und Komplexitätsmanagement als zentrales Element ihrer Strategie betrachten und erfolgreich umsetzen, werden in der Lage sein, diesen Wandel erfolgreich zu meistern.
6. Sourcing-Strategien
Angesichts des Zusammenbruchs globaler Lieferketten wird nicht nur die Unzuverlässigkeit dieser Systeme deutlich, sondern auch die steigenden Transportkosten und -emissionen, die damit einhergegangen sind. Darüber hinaus offenbart sich auch die Anfälligkeit für fehlerhafte Planung aufgrund von langen Transportzeiten und der damit einhergehenden Verzögerungen bei der Erfüllung sich schnell ändernder Kundenbedürfnisse. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, können Unternehmen ihre Produktion lokalisieren und überdenken, welche Komponenten sinnvoll vor Ort hergestellt werden können. Angesichts der Fortschritte in Automatisierung und Digitalisierung sind die wegfallenden Kostenvorteile der Vergangenheit längst kompensierbar. Darüber hinaus bietet Local Manufacturing den zusätzlichen Vorteil, dass es automatisch ökologisch und ökonomisch nachhaltiger ist, da jede Form von Verschwendung in den Prozessen viel zu teuer wäre.
7. Agile Erfüllung des Kundenbedarfs
Unternehmen, die durch Automatisierung und Digitalisierung ein Wertschöpfungssystem schaffen, das die oben genannten Punkte berücksichtigt, sind nicht nur in der Lage, effizienter zu arbeiten, sondern können auch kurzfristig auf Änderungen der Kundenbedürfnisse reagieren und damit ihre Agilität erhöhen. Dies führt zu einem positiven Einfluss auf die Umsatz- und Kostenseite, da diese Unternehmen sich, ihre Strukturen und Produkte schnell auf die Veränderungen einstellen können.
Um diese Transformation erfolgreich zu starten, müssen deutsche Unternehmenslenker die Technologie- und Risikoaversion ablegen, die sie scheinbar entwickelt haben. Der erste Schritt dazu: Die Entwicklung einer einheitlichen Vision der Fabrik der Zukunft.